Am 21. Mai 2008 gegen 16 Uhr steht Lisa  am Band der Sicherheitskontrolle am Flughafen Hahn und sieht zu wie ihr Handgepäck nach verdächtigen Sprengstoffen durchwühlt wird. Sie ist eine von 18 Teilnehmern und Teilnehmerinnen am Partnerschaftstreffen mit Adastral Park in Ipswich, die mit Ryanair nach England fliegen und in Stansted von ihren englischen Gastgebern abgeholt werden.

 

Die englischen Partner haben wieder ein buntes Programm aus Museumsbesuchen,  geselligen Abenden, Spaziergängen und Pub-Besuchen zusammengestellt. Gutes Wetter dafür bringen wir aus Deutschland mit.
Am Donnerstagmorgen treffen sich deutsche Gäste und englische Gastgeber am Eingang des Normannenschlosses in Colchester, der ehemaligen römischen Provinzhauptstadt der Provinz Britannia. Das im Schloss untergebrachte Museum dokumentiert englische Geschichte von der Steinzeit bis zum Bürgerkrieg um 1640. Einmalige Kostbarkeiten, wie die kunstvolle bronzene Merkurstatue von Gosbeck, die Vase von Colchester mit Gladiatormotiven oder der Mosaikflur von Middleborough mit Motiven von Vögeln und Seeungeheuern sind zu bewundern. Mit einer römischen Toga darf man sich als Römer fühlen. Das 14 kg schwere Kettenhemd eines römischen Soldaten nimmt man gerne in die Hand, damit herumlaufen möchte man lieber nicht. Schaurig überläuft es den Besucher bei der Multimedia Show im mittelalterlichen Gefängnis, wo Gefangene und ihr Wärter über ihre grausigen Schicksale erzählen.
Dem Schloss gegenüber, neben den Schlossparkanlagen, wo viele Besucher im Gras lagernd das schöne Wetter genießen, liegt das Hollytrees Museum ein ehemaliges Stadthaus aus dem Jahre 1718. Wir bekommen dort auf 3 Stockwerken einen Einblick in das familiäre Leben der letzten 300 Jahre von Reich und Arm.
Den Spaziergang an der Esplanade von Frinton mit den schnuckeligen Strandhäuschen finden alle sehr schön, die dort waren. Unsere eigenen Gastgeber zeigen uns stattdessen das in einer ehemaligen Kirche untergebrachte Art & Craft Center in Dedham und laden uns am Abend, statt sich mit den andern zu treffen, in eines der guten Fischrestaurants in Ipswich zu Fish&Chips ein.
Ein ehemaliger Telekomtechniker, der nun als Stadtführer arbeitet, erwartet uns am Freitagmorgen am alten Zollhaus am Hafen von Ipswich. Er erzählt uns, dass Ipswich in früheren Zeiten hauptsächlich von der Herstellung von Malz und seiner Verschiffung zu den Bierfabriken in Europa lebte. Heute ist das Hafenviertel dabei, in einer gelungenen Verschmelzung von alter und neuer Bausubstanz umgestaltet zu werden. Für gut verdienende London-Pendler entstehen in den Docks neue teure Appartementhäuser. Auf dem Weg durch die Altstadt ins Stadtzentrum werden wir auf konstruktive Besonderheiten von Häusern ehemaliger reicher Kaufleute aufmerksam gemacht. und sehen Häuser, die speziell für die Armen gebaut wurden. Wir gehen vorbei am Haus mit 2 Hausnummern und erfahren anekdotisches, etwa dass es Nelson bei seinem Aufenthalt in Ipswich vermied, seine Frau in seinem eigenen Haus zu besuchen, wohl um seine Geliebte nicht zu verärgern.
Während der kleine Aaron vom Redeschwall unseres Führers eingelullt, sich auf dem Bürgersteig zu einem kurzen Schlummerchen zusammenrollt, macht Tony sich eifrig Notizen für ein Quiz. Am gleichen Abend sind alle Twinners nämlich zu einem Barbecuefest in seinem Garten eingeladen. Dabei will er testen, wie gut wir alle bei dieser interessanten Führung aufgepasst haben. Aber die Teilnehmer schleppen für diesen Abend so viele Salate, Kuchen und andere Leckereien an; es gibt Würste, Hähnchenschenkel und Steaks und vor allem soviel untereinander zu erzählen, dass das Quiz ins Wasser fällt.
Die Zeit zwischen Stadtführung und Barbecue nutzen wir und andere Teilnehmer zu einem Spaziergang durch den großen Stadtpark und einem Besuch der Christ Church Mansion, einem Museum mit Sammlungen schöner Möbel, Keramikobjekten, Uhren und Gemälden.

Norwich, die große Nachbarstadt im Norden von Ipswich, war schon bei anderen Treffen beliebtes Ausflugsziel. Es ist inzwischen Samstag. Wir reisen mit dem Zug an und treffen uns vor dem Schloss, das unter Wilhelm dem Eroberer erbaut und im 14. Jahrhundert zum Gefängnis umfunktioniert wurde. Seine große Innenhalle ist inzwischen renoviert und neu gestaltet. Eine junge Dame, in der Tracht einer mittelalterlichen Dienerin ist unsere Führerin durch den oberen Teil der Halle entlang der Kampf-Galerie, und durch die Garderobes, eine tunnelförmig angeordnete mittelalterliche Anlage von Gemeinschaftstoiletten, die wir gebückt durchqueren, um den Kopf nicht anzustoßen.
Wir haben alle unsere von Hollywood geprägten romantischen Vorstellungen, wie Ritter und Fußfolk im Mittelalter kämpften. Dass die meisten dieser Vorstellungen gründlich falsch sind, machte uns der Leiter des Museums, mittelalterlich gekleidet und bewaffnet, in einem packenden demonstrativen Vortrag über mittelalterliche Kampftechnik klar. Ein Schauer läuft mir über den Rücken, als er erzählt, was ein Armbrustbolzen anrichten kann, wenn er aus 300 m abgefeuert 3 Menschen hintereinander durchbohrt und tötet. Einen Ritterhelm mit Visier darf ich selbst aufsetzen, um dabei die unangenehme Festzustellung zu machen, dass man durchs Visier nur nach vorne und nicht seitwärts sehen kann.
Mehrere interessante Galerien sind im Schloss untergebracht, die Boudica Gallery, die vom Kampf der East Anglia Königin Boudiga gegen die Römer erzählt, die ägyptische Galerie mit alten ägyptischen Gräbern und Mumien, die Wikinger Galerie, welche die Zeit nach dem Zusammenbruch des Römerreiches dokumentiert und mehrere Kunstsammlungen. Am besten hat mir die Sammlung handwerklicher Kunst mit originellen englischen Teekannen gefallen.
Ehe uns der 17 Uhr Zug nach Ipswich zurückbringt, haben wir noch Zeit, uns die Stadt anzusehen. Wir schlendern über den Marktplatz zwischen den Buden hindurch hin zur mit vielen Computerterminals modern eingerichteten Hauptbücherei, in der auch ein BBC-Studio untergebracht ist und ein gemütliches Café zum Entspannen.
Da einige von uns schon am Sonntag zurückfliegen mussten, gibt sich das Wetter keine Mühe mehr. Der für Sonntag von unsern Gastgebern geplante Spaziergang durch das Naturreservat Minsmere an der Küste muss wegen verschlammter Wege mangels passender Schuhe ausfallen und wird durch einen Shopping-Rundgang im Touristenort Snape ersetzt.
Attraktiver als eine verregnete Ritterturniervorführung in Hedingham Castle erscheint am Montag - unserem Heimreisetag - ein Besuch der Teapot Gallery in Debenham, wo man alle nur denkbaren originellen Teekannen bewundern kann von der Teekanne als Handtasche über die Teekanne als Auto bis zur Teekanne als Polizist.
Gegen 19 Uhr steht Lisa an einem Tisch der Flughafenkontrolle in Stansted und sieht zu, wie ihrer Handtasche von einem Sicherheitskontrolleur ausgepackt und gründlich nach Sprengstoff durchsucht wird. Doch trotz dieses kleinen Zwischenfalls  kommt unsere Gruppe kurz nach Mitternacht wohlbehalten in Hahn an.

Alfred Corbet

Bilder zur Auswahl und
Bildunterschriften

Vor dem Zollhaus in Ipswich
dockland buildings renovated
Predigt vor Ruinen in Ipswich
Twinners am Schlosseingang von Colchester
Blick auf den Hafen von Ipswich
Blick auf Norwich Cathedral
die große Halle von Norwich Castle
Im Teapotshop von Dedenham
Im Visier
wer richtig müde, schläft überall gut
unser jüngster Twinnernachwuchs
ein germanischer Krieger in Colchester